Fernlernunterricht der besonderen Art
Herr Platz ist Klassenlehrer in der 4a der Freien Waldorfschule Karlsruhe. Die Klasse hat er im Schuljahr 2020/2021 neu übernommen und deshalb innerhalb dieses „besonderen“ Corona- Jahres keinen leichten Start. Die Kinder und er konnten sich zwar nach den Sommerferien in 2020 kurz kennenlernen, als es aber im Dezember in den zweiten Lockdown ging und die Schulen wieder geschlossen wurden, bedeutete das auch für die 4a mit ihrem neuen Lehrer nur noch in Distanz kommunizieren zu können. Nach den Weihnachtsferien startete dann der Online-Unterricht für die Klasse, wie an allen Schulen, aber mit einem Unterricht der besonderen Art. Herr Platz „unterrichtete“ seine Schüler*innen fortan via Lernvideos aus seinem Heimatort Gengenbach.
Konkret hat der medientechnik-affine Herr Platz mit drei Kameras parallel gearbeitet und ab Januar 2021 täglich ein Lernvideo für seine 4.Klasse aufgenommen. Insgesamt mehr als 30 Clips sind so während des Fernlernunterrichtszeitraums entstanden! Das Besondere hierbei ist, dass die Technik nur als Mittel zum Zweck dient, d.h. die Technik wird zwar als Medium gebraucht und genutzt, ist aber in der Wahrnehmung von völlig untergeordneter Bedeutung – deshalb hat man als Betrachter nie das Gefühl die Technik würde die eigentliche Darstellung des Themeninhalts stören.
Je nach Epochenthema (Bruchrechnen, Lesen, Schreiben, germanische Mythologie etc.) und vor allem altersgerecht variieren die Videos von Herrn Platz. Jeden Tag bis spätestens 21.00 Uhr standen die neuen Clips für den nächsten Schultag zum Herunterladen für die Eltern bereit. Die Schüler*innen konnten sich die jeweilige Einheit dann am Morgen anschauen und daraus auch ihre „Hausaufgaben“ für diesen Tag erfahren. Am Nachmittag wurden die Arbeiten der Kinder von den Eltern abfotografiert und für Herrn Platz über die Bildungsplattform wieder hochgeladen. Dann fanden die Schüler*innen ihre Ausgestaltungen in den Epochenheften am darauffolgenden Tag plötzlich wieder in das neue Tagesvideo eingebunden, was die Beziehung zu- und untereinander wieder herstellte. Durch die immer wiederkehrende, gleiche Struktur, z.B. Hintergrund der Videos konnten sich die Schüler*innen schnell und leicht in den Details einfinden und hatten dadurch den Vorteil des Wiedererkennungswerts. Unterstützung hat Herr Platz vom virtuellen Kater Felix, der eigens für dieses Lernformat „erschaffen“ wurde und dem Profil der Maus aus der gleichnamigen Sendung ähnelt.
Mich hat diese Art des Unterrichtens sofort an Peter Lustig erinnert, mit dem ich in den 80er als unterhaltsamer Wissensvermittler in der Sendung „Löwenzahn“ aus dem Fernsehen groß geworden bin. Ich war und bin begeistert von diesem Engagement, der Ideenvielfalt und der Liebe zum Detail.
Eine andere Art des Kontakts ist im Laufe der Online-Beschulung entstanden und wie Herr Platz schilderte, „sind dadurch z.B. die stilleren Kinder, die während eines Präsenzunterrichts gerne von den temperamentvolleren Mitschüler*innen übertönt werden, mehr als sonst üblich in den Vordergrund gerückt.“ Bei Herrn Platz kann jeder seinen Platz finden! Dennoch ist der Präsenzunterricht nicht zu ersetzen. Nachdem der Schulbetrieb für die Grundschüler*innen im März wieder aufgenommen wurde, hat es drei Tage gedauert, bis sich alle wieder im Klassenverbund zusammenfinden konnten und die Konzentration und Aufmerksamkeit wieder über einen längeren Zeitraum von allen zu halten war, schildert der Lehrer. Die Interaktion aus einem belebten Unterricht in Präsenz basiert nun einmal auf der realen Beziehung und von den Aktionen die oft auch unvorhersehbar geschehen. Der Lehrer kann dieses Geschehen aufgreifen und in seinen Unterricht mit einfließen lassen, was virtuell nicht möglich ist.
Aber was wenn wirklicher Begegnungsunterricht nicht möglich ist? Herr Platz zeigt uns eine Alternative und gibt Impulse – wie facettenreich, kreativ und humorvoll Fernlernunterricht sein kann. Danke dafür. Ich bin ein Fan!
Bereits im ersten Lockdown und mit zu diesem Zeitpunkt wenig Medienunterstützung im Vergleich zu 2021, hatte Herr Platz für seine damalige 8. Klasse via Youtube, Videos in Themenblöcke wie Physik, „Optik“ oder in Biologie, „das menschliche Skelett“ in einer sehr professionellen und klar strukturierten Lernunterrichtsform entwickelt und den Kontakt zu seiner Klasse herstellen und halten können. Der Distanzunterricht bedeutete allerdings auch, dass die Elternmithilfe selbst in Klasse 8 noch gefordert war. David Dreher, der Vater von Anne aus der damaligen 8b, unterstützte seine Tochter sehr eifrig. Mit viel Eigeninteresse verfolgte er die Videoanweisungen von Herrn Platz und filmte seinerseits die Versuche, die Anne zur Optik zu Hause durchführte. Andrea die Mutter von Anne meinte hierzu, dass oftmals nicht eindeutig war, wem die Heimversuche in Physik mehr Spaß machten….Es ergab sich „zufällig“ durch die Art des Unterrichts eine besonderes Vater/Tochter-Projekt, welches gemeinschaftlich über die Physik-Epoche gewachsen ist. Die Vorgehensweise war dabei fortlaufend auch hier in einer gleichbleibenden Struktur: Thema einführen, Aufgabe vorstellen, Aufgabe selbst bearbeiten, Aufgabe zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeben, Aufgabe besprechen. Anne selbst beschreibt ihren ehemaligen Lehrer als sehr guten, ruhigen und genauen Erklärer und die Zeit der Videoanleitungen als neue, durchaus positive Erfahrung. Die Biografiearbeit als Jahresarbeit wurde nun eben nicht live präsentiert, sondern als Interview vom Vater aufgezeichnet und in diesem Format an den Lehrer zurückgeschickt.
In der Waldorfschule endet die erste Klassenlehrer-Zeit nach der 8. Klasse, d.h. Herr Platz gab nun mitten in einem schwierigen Pandemie-Jahr die Schüler*innen der Klasse 8b ab. Dieser Übergang wird normalerweise in einem Festakt gewürdigt und gefeiert. Auch hierfür hat sich Herr Platz etwas einfallen lassen, dass trotz der Distanz und dem Ausfall einer Feier diesem Anlass der gebührende Abschluss gegeben werden kann. Er erstellte für alle Schüler*innen seiner Klasse ein ca. 10minütiges Video, hielt Rückschau auf die Entwicklung eines jeden Einzelnen, zeigte Epochenhefte aus früheren Jahren und stellte die Individuellen Temperamente und ihre Entwicklungsprozesse schulisch-inhaltlich aber vor allem menschlich-sozial heraus. Über jeden konnte er mit offenem, weiten Blick berichten und seine Klasse über dieses Medium in andere Hände und neue Wege übergeben. Die Mutter von Anne erzählt, wie Sie zu Tränen gerührt war, als die Familie diese Videobotschaft zu Hause gemeinsam anschauen konnte. Es ist ein großartiges, einmaliges Geschenk, welches uns erhalten bleibt und die ersten Schuljahre unserer Tochter sehr einfühlsam zusammenfasst.
Zur Person
Herr Platz ist seit 16 Jahren Lehrer an der Freien Waldorfschule Karlsruhe. Davor hat er als Informatiker, Raumausstatter, Maler, Unternehmensberater, Programmierer und freier Coach bei Wirtschaftsunternehmen (z.B. BASF / Informatik) gearbeitet. Danach kam die Ausbildung zum Waldorf-Klassenlehrer und Kunstlehrer für die Oberstufe.